Lübeckische Blätter 2010/12 – 207: Rundum
Klingt wie Amrum, Punktum, Worum und Dorum, das blitzfrische neue Stadtmagazin der LTM Stadtwerber – brandaktuell, megacool und voll heiß. Schnelllebigkeit, Kurzatmigkeit und Richtungslosigkeit sind die wesentlichsten Eigenschaften dieser Broschüre. die es auf immerhin 150 Seiten plus doppelte Umschlagsklappen bringt. Mit einem flackernd-unruhigen Layout erbricht sich keuchend der Zeitgeist. Natürlich ist las Ganze ein Werbe-Marathon zwischen Marzipan und Rotspon und redaktionell verpacktem Produkt-Placement, aber das ist loch keine Entschuldigung.Es ist alles ziemlich ernüchternd. Wer die wenigen fachlich zu wertenden Beiträge – siehe Museen, Kirchen, Sehenswürdigkeiten, Rundgänge – auf ihren Informationsgehalt hin überfliegt, kommt ins Grübeln. Auf welche Zielgruppe hat man es abgesehen? „Das kleine Lübeck-Quiz für Lübeck-Profis“ in der hinteren Umschlagsklappe sagt es in peinlich berührender Aufrichtigkeit: An ihm erkennen wir, wie die Herausgeber die Leser einschätzen. Dazu haben sie Marktforschung betrieben. Die Broschüre ist das zwangsläufige Ergebnis des wissenschaftlich ermittelten niedrigen Intelligenz-Quotienten der Lübecker Besucher. Absolut seriös, wertfrei und unvoreingenommen.
Die Autoren sind im Impressum auf Seite 149 mit vollem Namen angeführt. Für ihre Texte können sie selbstverständlich nichts. Es war ein Auftrag zu erledigen. Man hat ihnen Vorlagen auf den Tisch gepackt, etwa die bunten Heftchen „lübeckultur. und sie haben abgeschrieben wie Schüler. wobei sie auch den blühenden Unsinn übernommen haben. Es fehlt nicht die grandiose Ochsenblut-Saga, derzufolge „die Backsteine für das Herzstück Lübecks in einer komplizierten Mischung aus Ochsenblut, Asche und weiteren geheimen Zutaten gebacken wurden“, es fehlt nicht der Hinweis, dass St. Marien „Vorbild für mehr als 100 Kirchen im Ostseeraum“ war (in „lübeckultur“ waren es erst 70, die St. Marien zur „Mutter“ hatten, scheinbar kriegt sie immer noch Kinder), wieder ist Lübeck ein „Meer aus Backsteinen“ (obwohl fast 90 % der Häuser verputzt undfasziniert
Katharinenkirche ..als überraschendes Baudenkmal an-sich“, wohl, weil da nix drin ist – in Marien gibt’s wenigstens kaputte Glocken und ’ne Maus – außer einem „großen Epitaph von Jacopo Tintoretto“, das indes kein Epitaph ist, wieder lagerte das „weiße Gold des Nordens“ in den „Salzspeichern“, in denen nie Salz gelagert hat, jedenfalls nicht in den Speichern, die heute da stehen, wieder schrumpfen die Wohngänge zu einer „zauberhaften Welt der Puppenhäuser“, und diese Puppenhäuser sind einfach so entstanden, weil „es zu eng wurde innerhalb der Mauern“. Für die „Ärmsten der Armen“ baute man die Höfe, so etwa den Füchtingshof für Kaufmannswitwen. Solche „Puppenhäuser“ kann man heutzutage übrigens mieten als „Ferienhäuser“ (Tel. 88 99 700). Das widerspricht zwar dem geltenden Planungsrecht (Gänge sind reine Wohngebiete, da hat Gewerbe nichts zu suchen), aber bei der LTM muss man das nicht wissen.
Was „UNESCO-Welterbe Altstadt von Lübeck“ bedeutet, wird auf Seite 15 durchaus korrekt, wenn auch knapp, wiedergegeben. Die Seiten davor und danach sind von diesem Wissen völlig unberührt. Das macht einigermaßen perplex. Aus dem besagten UNESCO-Text geht hervor, dass diese sichtbare, aufrecht stehende Altstadt das „Weltkulturerbe“ ist: Häuser, Parzellen, Bauwerke, Straßenräume. Diese Realität haben die Autoren anscheinend nie gesehen – oder sie haben diese mit dem geschriebenen Text nicht in Verbindung zu bringen vermocht. Das ist so, als ob man ein Computer- „Schrift-Erkennungsprogramm“ benutzt hätte, das zwar Buchstabenfolgen erkennen kann, nicht aber deren Bedeutung. So ist von einem „Stadtviertel der Patrizierhäuser des 15. und 16. Jahrhunderts zwischen Petrikirche und Dom“ die Rede, obwohl es da kein einziges „Patrizierhaus“ gibt, weder aus dem 15. noch aus dem 16. Jahrhundert, es gibt auch kein „Patrizierhaus“ am sogenannten Museumshafen. Der Dom wird uns als „dreischiffige Pfeiler-Basilika“ verkauft (wow! ein Fachbegriff! Wikipedia?), dabei ist der Dom seit 1341 eine dreischiffige Halle. Was irgendwo gedruckt steht, darf man
eiahrlos abschreiben. Löerprüfen (auf Neudeutsch: checken, sprich: „tschäck’n“) hätte extra vergütet werden müssen. Das gilt auch für viele falsche Jahreszahlen und weitere Angaben. Zählt beispielsweise mal nach, wie viele rotlackierte Stahlplastiken der Serie „cube cracks“ von HD Schrader in der Altstadt stehen.
Mit Sportgeist habe ich mich durch die ersten 39 Seiten von den erwähnten 150 gekämpft. Dann war’s genug. Immerhin: Gefreut habe ich mich über diesen keck-kühnen Satz: „Die erfolgreichen Bemühungen, die historische Altstadt zu erhalten, lassen die Stadt international als Musterbeispiel der Denkmalpflege gelten“ (na bitte: international!! )War bzw. ist nicht auch der Architekt des Kaufhauses auf dem Markt „weltweit renommiert“? Na logo! Dann ist doch alles in Butter!). Den Gegenbeweis zu den „erfolgreichen Erhaltungsbemühungen“ erspare ich mir hier. – Auch weiter hinten stößt man bei Stichproben auf manches Leckerli, so auf Seite 69 auf den „Rundgang für Frauen“, auf dem wir lernen, dass Frauen nur chic shoppen und vier Mal Kaffee trinken wollen in 90 Minuten, da hätte man aber auch sagen müssen, wo frau mal Pipi machen kann.
Stadtwerbung braucht zwei Dinge, um seriös zu erscheinen: Erstens Sachkompetenz (das heißt: zu wissen, wovon man spricht bzw. über was man schreibt), und zweitens Zielgruppen-Differenzierung: Weshalb empfängt man alle Besucher unterschiedslos mit nivellierender Anspruchslosigkeit, dies aber gepaart mit der fröhlich hoppelnden Unschuld eierlegender Osterhasen, die ja auch nur deshalb Eier legen, weil irgendwelche Markt-Strategen dies partout so wollen?
P S. Aus Südwest-Frankreich habe ich „Gegenprogramme“ zum Lübecker Werk mitgebracht. Die Stadtwerbung z. B. von Toulouse oder Cahors nimmt die Besucher mit mehr Respekt an die Hand. In Bordeaux, wie Lübeck UNESCO-Weltkultur-erbe, weist bereits das Layout der Tourismus-Broschüren darauf hin, dass „Welterbe“ auch etwas mit Kultur zu tun hat. Wir sollten also die Hoffnung nicht aufgeben, dass man dies irgendwann auch einmal bei der LTM „tschäckt“.
Manfred Finke
Lübeckische Blätter 2010/12 207