Scheinselbstständig, ohne es zu wissen – Wie Selbstständige sich schützen können
Symbolfoto: Schleswig-Holsteinische Rechtsanwaltskammer. Immer wieder kommt es vor, dass Einzelunternehmer oder Freiberufler ungewollt scheinselbstständig sind und es nicht einmal wissen. So hat im letzten Jahr ein Urteil des Bundessozialgerichts für Aufsehen gesorgt, laut dem ein Zahnarzt, der als Honorararzt regelmäßig Notdienste im Auftrag einer kassenzahnärztlichen Vereinigung übernommen hatte, scheinselbstständig sei. Weitere häufig betroffene Berufsgruppen sind Berater, Programmierer, Grafikdesigner, Handwerker sowie Kurier- und Speditionsfahrer. Eine Scheinselbstständigkeit hat immer Auswirkungen auf beide Seiten. Unter anderem wird der Selbstständige zu einem Angestellten des entsprechenden Auftraggebers. Dieser muss daraufhin Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer nachzahlen.
Drohende Scheinselbstständigkeit erkennen
Typische Merkmale einer Scheinselbstständigkeit sind, dass der Selbstständige dauerhaft, das heißt zu mehr als 85 Prozent, für einen Auftraggeber tätig ist und dessen Aufträge fünf Sechstel des eigenen Umsatzes ausmachen. Zudem kann eine Scheinselbstständigkeit vorliegen, wenn der Selbstständige keine eigenen versicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigt, wenig unternehmerische Freiheit besitzt und seine Arbeits- sowie Urlaubszeiten mit denen der festangestellten Arbeitnehmer des Auftraggebers übereinstimmen. Ausschlaggebend ist, ob diese Merkmale im Gesamtbild überwiegen. Regelmäßig wird dabei auch auf das unternehmerische Risiko abgestellt, welches der Selbstständige trägt.
Ungeplante Scheinselbstständigkeit vermeiden
Selbstständige haben verschiedene Möglichkeiten, einer etwaigen Scheinselbstständigkeit vorzubeugen. Hierzu sollten sie für mehrere Auftraggeber arbeiten und nur selten über längere Zeit für denselben. Weiterhin sollten Selbstständige ihr Honorar frei und eigenständig gestalten, auf eine weitgehend freie Zeitplanung bei der Auftragserledigung achten und den Leistungsort selbstbestimmt wählen, beispielsweise im eigenen Büro oder zuhause. Keinesfalls sollten sie überwiegend in den Räumen des Auftraggebers arbeiten. Ebenso ist es empfehlenswert, zum Beispiel mit einer eigenen Website oder Visitenkarten nach außen hin erkennbar als Selbstständige aufzutreten. Falls Selbstständige den begründeten Verdacht haben, scheinselbstständig zu sein, sollten sie eine Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund veranlassen und eine Feststellung der Befreiung von der Versicherungspflicht beantragen.
Folgen für Scheinselbstständige
Falls es sich um eine Scheinselbstständigkeit handelt, wird der vermeintliche Selbstständige zum Angestellten des Auftraggebers. Er hat somit Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch und im Krankheitsfall Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber. Außerdem muss er sein Gewerbe beim Gewerbeamt abmelden, wodurch auch die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer endet. Nur in Einzelfällen kommt es für die Sozialabgaben zu einer Gesamtschuldnerschaft mit dem Arbeitgeber. Allerdings kann der Arbeitgeber die Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für die letzten drei Monate vom Gehalt des Angestellten abziehen.
Auftraggeber muss nachzahlen und rückerstatten
Der ehemalige Auftraggeber, der nun Arbeitgeber ist, muss die Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer nachzahlen. Dies gilt für die gesamte Dauer der Zusammenarbeit, rückwirkend bis zu vier Jahre. Als Bemessungsgrundlage wird der Nettoverdienst des Selbstständigen angesetzt. Darüber hinaus ist die ausgewiesene Umsatzsteuer auf den Rechnungen des Scheinselbstständigen unwirksam. Das heißt, dass erfolgte Vorsteuerabzüge unzulässig sind und der seinerzeitige Auftraggeber die Vorsteuerbeträge ans Finanzamt zurückzahlen muss. Im schlimmsten Falle kann es sogar zu einer Prüfung und Anklage wegen Steuerhinterziehung und der Nichtabführung von Sozialabgaben kommen.
Selbstständige können ihre Arbeit frei gestalteten
Grundsätzlich ist von Scheinselbstständigkeit die Rede, wenn ein laut Vertrag selbstständiger Auftragnehmer objektiv ein Arbeitnehmer ist und versicherungspflichtig angemeldet werden müsste. Während Selbstständige ihre Tätigkeit und Arbeitszeit im Wesentlichen frei gestalten können, ein unternehmerisches Risiko tragen und eine eigene Betriebsstätte haben, sind abhängig Beschäftigte in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert. Sie unterliegen einer umfassenden Weisungsbefugnis, die Zeitpunkt, Dauer, Ort und Art der jeweiligen Tätigkeit umfasst. Die Anweisungen des Arbeitgebers gegenüber einem Angestellten beziehen sich somit vor allem auf die Arbeitsweise, nicht nur auf das Arbeitsergebnis, wie bei einem Selbstständigen.
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