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Transparenz“

Foto_2015_28_04_St_Petri_Camouflage + TransparenzAfghanistan, Kosovo, Horn von Afrika, die türkisch-syrische Grenze, Somalia… Die deutsche Bundeswehr ist aktuell in mehr als zehn Regionen der Welt mit etwa 2.900 Soldaten im militärischen Auslandseinsatz: Zur Krisenbewältigung, gegen Piraterie, auf Friedensmission oder als Militärbeobachter – die Aufgaben sind vielfältig. Bei der in St. Petri stattgefundenen Podiumsdiskussion beschrieben Wissenschaft und Kirche den Wandel in der deutschen Militärpolitik und entfachten damit eine Grundsatzdebatte im Publikum.

„Allein im Afghanistan-Krieg sind von den dort stationierten deutschen Soldaten 55 im Einsatz gestorben. Ich finde es schwierig zu akzeptieren, dass das einen Zustand militärpolitischer Normalisierung beschreiben soll.“ Mit diesen Worten wandte sich Pröpstin Petra Kallies vom Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg, die gemeinsam mit Pastor Ulrich Hentschel von der Evangelischen Akademie der Nordkirche das Podiumsgespräch moderierte, eindringlich an die anderen Teilnehmer. „Wie und mit welchen politischen Begründungen hat sich der Wandel zu einer Armee im permanenten Einsatz vollzogen? Und setzen wir als Kirche damit nicht das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe aufs Spiel?“ Über diese Fragen diskutierten Friedensforscher Prof. Dr. Michael Brzoska, der Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD Dr. Friedrich Hauschildt sowie Dompfarrer Matthias Gürtler aus Greifswald im weiteren Verlauf des Abends.

Gemäß Parlamentsbeteiligungsgesetz erfordern Auslandseinsätze eine Zustimmung des Bundestages, erläuterte Prof. Dr. Michael Brzoska, Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Der militärische Einsatz in Afghanistan sei 2011 im Bundestag kontrovers diskutiert worden, bevor der Antrag der Bundesregierung angenommen wurde – trotzdem „ist die öffentliche Diskussion nicht in Gang gekommen“, erinnerte Brzoska bei der Podiumsdiskussion. „In der Bevölkerung gab es keine Demonstrationen, dass deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt werden.“ Vieles sei Ausdruck einer generellen Undurchsichtigkeit, wofür die Militärpolitik heute stehe.

Was haben wir für ein Anliegen? Welchen Prinzipien ist die Militarisierung der deutschen Außenpolitik verpflichtet? Wie agieren die Kirchen in dieser Situation? Im Spannungsfeld zwischen Sicherheitspolitik und Frieden erhebt die Kirche den Anspruch, „einen Beitrag zur Debatte zu leisten.“ In einer Stellungsnahme von Dr. Hauschildt (EKD) heißt es dazu: „Die Evangelische Kirche will keine Politik machen, aber Politik möglich machen.“ Zum Nachdenken anregen, Gesichtspunkte aufzeigen, die „Debatte in unserem Land fördern“. Nach christlicher Auffassung ist Frieden nicht nur ein christliches Gebot, es ist auch vernünftig und setzt voraus, dass auf eigene Interessen verzichtet wird. Der EKD-Vizepräsident weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „der Friede noch nicht da ist, wenn die Waffen schweigen.“

Dompfarrer Matthias Gürtler aus Greifswald warb für „Schwerter zu Pflugscharen“. Dieses Bibelzitat galt schon in DDR-Zeiten als Symbol für die Friedensbewegung. Gürtler sagte: „Man muss für viele Dinge lange kämpfen. Das Ziel ist klar: Frieden.“ Er hält Aufrüstung für gefährlich und vertrat bei der Debatte die Position, dass in der Militärseelsorge das Tragen einer Uniform mit Kreuz dem pazifistisch-zivilen Anliegen der Kirche widerspricht. Gerade beim Stichwort Militärseelsorge wurden kritische Stimmen im Publikum laut. Die einen befürworteten diese seelsorgerische Begleitung der Streitkräfte, die anderen verlangten eine deutliche Position der evangelischen Kirche. Sie forderten, dass die Kirche hier unabhängig von der Bundesregierung eigene Entscheidungen treffen müsste: „Kann die Kirche nicht sagen: Nein, wir unterstützen das nicht – und ziehen ihre Militärseelsorger ab?“, lautete die Frage.

Allein im Jahr 2014 wurden vom Deutschen Bundestag mehr als zehn Auslandseinsätze der Bundeswehr genehmigt. Warum fehlt es bislang an einer breiten gesellschaftlichen Diskussion? Die Themen Sicherheit und Militär dürfen nicht länger aus der gesellschaftlichen Debatte verbannt werden – das ist ein Anliegen der Initiatoren, der Evangelischen Akademie der Nordkirche und des Ev-Luth. Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg. Die Debatte in der St.-Petri-Kirche war ein Anfang.

Als weiteren Beitrag zur gegenwärtigen friedensethischen Diskussion gibt es am Freitag, 29. Mai, und Sonnabend, 30. Mai 2015, in Güstrow im „Haus der Kirche“ eine Tagung „Pazifismus inmitten einer Welt der Gewalt“ unter Leitung von Ulrich Hentschel und Klaus-Dieter Kaiser von der Evangelischen Akademie der Nordkirche. Anmeldungen werden erbeten (E-Mail: rostock@akademie.nordkirche.de). Mehr Informationen erhalten Interessierte im Internet unter www.akademie.nordkirche.de.

Hintergrund:

Seit Ende des Kalten Krieges wurde die deutsche Militärpolitik einem grundsätzlichen Wandel unterzogen. Vorher war es der Auftrag der Bundeswehr als einer Armee von „Bürgern in Uniform“ die Landesgrenzen zu schützen. Jeder männliche Jugendliche musste sein Gewissen dazu befragen – und jede Mutter, jeder Vater, jede Freundin unwillkürlich auch. Kann es eine Pflicht sein, im Ernstfall auf andere Menschen zu schießen? Wer entscheidet über den „Ernstfall“? Welche ethischen oder sozialen Argumente sprechen dagegen oder auch dafür?

Mit der strategischen Neuorientierung der Bundeswehr in den 1990er Jahren und seit Aussetzung der Wehrpflicht vor vier Jahren hat sich das Bild grundlegend geändert. Deutschland verfügt heute über eine Freiwilligenarmee, die sich aus ganz verschiedenen politischen Gründen permanent im Einsatz befindet, sei es im Krieg gegen den Terror, auf Friedensmissionen oder zum Schutz von Handelsschiffen. Diese Entwicklung wird immer wieder von kritischen Debatten begleitet, jüngst bei der Frage danach, ob Deutschland Soldaten der kurdischen Peschmerga mit Waffenlieferungen gegen den mörderischen IS im Irak unterstützt. Trotz grundlegender Bedenken gebe es keine Alternative zu einem militärischen Engagement durch Waffenlieferungen. Diese vermeintliche Alternativlosigkeit aber muss sich selbst befragen lassen, ebenso wie eine Entscheidung im Einzelfall keine Grundsatzdebatte ersetzt.